Themennachmittag „At the Flipside of Paradise“

14.01.2011 Sister Fa performed in der GIZ in Eschborn

Bericht Bettina Renfro

Zu Dritt von der Städtegruppe machen wir uns mit der S-Bahn auf den Weg nach Eschborn. Am Bahnsteig treffen wir noch Franziska, die FGM-Koordinatorin aus Tübingen. Das Auditorium ist gut gefüllt, wir werden gleich in Empfang genommen und schon gibt es zu altbekannten Namen endlich auch ein Gesicht der MitstreiterInnen oder man trifft Altbekannte wieder.

Dr. Hans-Joachim Preuss, als einer der wenigen anwesenden Männer, spricht die Begrüßung und die Mitfrau neben mir zuckt schon bei der Sprache zusammen. In Gegenwart von Sister Fa, Aktivistin und in Deutschland lebende Musikerin aus dem Senegal, von der wir wissen, dass sie diesem Ritual unterzogen worden ist, fällt in der kurzen Ansprache das Wort Genitalverstümmelung gefühlte 100 Mal und als der GIZ-Zampano ganz selbstbewusst von Projekten spricht ..”die wir in Afrika haben” – mir ist es entgangen – muss ich meiner sensiblen Mitfrau, die mich darauf aufmerksam macht,  zustimmen: “unterstützen” wäre partnerschaftlicher und mehr auf Augenhöhe gewesen.

Für uns selbst haben wir festgelegt, dass wir das “M-Wort” in Gegenwart von Betroffenen nicht benutzen, egal ob sie damit ein Problem haben oder nicht, obwohl ich selbst immer eine Verfechterin des politischen Begriffs FGM war und der Meinung, dass Euphemismen nicht der Enttabuisierung oder der Abschaffung dieses Rituals dienen. Aber Sister Fa wird mich im Laufe des Nachmittags bekehren.

Sister Fa Porträt

Sister Fa spricht über Education sans excision

Prompt ist auch der erste Wunsch von Sister Fa im Zusammenhang mit weiblicher Genitalbeschneidung nicht von Verstümmelung zu sprechen. Im Laufe des Interviews stellt Sie auch eindrücklich dar, warum Ihr das wichtig ist. Sie ist sich sicher, dass es nie die Absicht Ihrer Mutter war, Sie zu verstümmeln. Stattdessen habe sie es aus Liebe getan und mit der Intention sie „vor der Gesellschaft zu beschützen“. Im Fall ihrer Familie und im Senegal ist damit gemeint, sie vor sexueller Freizügigkeit und dem Zugriff von Männern zu bewahren. Das wird dann gleichgesetzt mit Jungfräulichkeit, was auch einen ganz praktischen finanziellen Hintergrund hat. Sie muss selbst lachen, als sie erzählt, dass sie einen guten Preis als „unversehrte“ Braut gebracht hätte. Aber leider hat sie dafür Ihre „Ganzheit“ eingebüßt „I am not komplett“ umschreibt sie in einem charmanten Denglish, was ihr angetan wurde von der eigenen Mutter, aber eben nur zu Ihrem Besten.

Das kommt uns doch bekannt vor: in „For Her Own Good“ weisen Barbara Ehrenreich und Deirdre English nach, dass die letzte Klitoridektomie in den USA Ende des 19. Jhd. vorgenommen wurde, auch zum vorgeschobenen Besten der Frauen, vor allem aber der patriarchalen Gesellschaft.

Sister Fas Forderung zur Überwindung von FGC (Female Genital Cutting) ist deshalb vor allem Frauen zu stärken und Aufklärungsarbeit in Schulen durchzuführen. Sie sagt, im Senegal sprechen Eltern nicht mit ihren Kindern über Sexualität und schon gar nicht über das Tabu der weiblichen Genitalbeschneidung. Aber wenn die Kinder mit Informationen aus der Schule nach Hause kommen und mit ihren Eltern darüber reden wollen, sind sie gezwungen dieses Schweigen aufzugeben. Und so ist Sister Fa trotz chronischem Geldmangel mit der ganzen Band in Afrika unterwegs, um mit ihren Liedern die Menschen auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Nicht nur das, sie engagiert sich ebenfalls in der HIV-Aufklärung.

Mit Blick auf FGC in Deutschland warnt sie, Ausländern nicht immer gleich mit Bestrafung zu begegnen, sondern eine effektive und integrative Präventionsarbeit zu leisten. Sie führt ein Beispiel aus eigener Erfahrung an: Die Kinderärztin ihrer zweijährigen Tochter habe weder vor der Reise in den Senegal das Thema angesprochen, noch nach der Rückkehr die Unversehrtheit des Mädchens überprüft. Sister Fa hätte das von einer Kinderärztin aber unbedingt erwartet. Sie wünscht sich eine offene Thematisierung der Gefahren von FGC.

Die Frage, ob es unter den anwesenden NGOs Gruppen gibt, die in diesem Bereich arbeiten, gibt uns noch mal die Gelegenheit für unseren Fortbildungstag „Sensibler Umgang mit weiblicher Genitalbeschneidung“ zu werben.

Leider muss ich mich dann pünktlich aus der Veranstaltung schleichen und bekomme nicht den nächsten Song mit, der sich mit den Interviewparts, abwechselt. Aber um fünf macht der Kinderladen dicht und Eschborn ist weit… Dafür sitzen wir abends noch mal zu viert im Café Metropol über dem dampfenden vegetarisch Couscous, um uns mit Pflaumenschorle, Koriander, Granatapfel, sonstigen sekundären Pflanzenstoffen und abschließendem kompaktem Mousse au chocolat für den Endspurt unserer anstehenden Veranstaltung zu stählen. Dabei reden wir uns die Köpfe heiß über Tabus, unterdrückte Sexualität in Deutschland allgemein, Umgang mit Mädchen und Frauen in der Medizin, soziale Kontrolle durch Geschlechterrollenzuweisung und wissen, dass es zu unser aller Besten ist, wenn wir so eine Veranstaltung machen.

Sister Fa Milyamba (new version)

Sister Fa live in Berlin PopDeurope and interviewed by Jutta Haasman

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